Bekenntnisse: Formen und Formeln

Organisatoren
Christine Bischoff / Carsten Juwig / Lena Sommer, Isa Lohmann-Siems Stiftung
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.02.2018 - 10.02.2018
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Von
Frank Alexander Kurzmann, Ev. Theologie, Kirchen- und Dogmengeschichte, Universität Hamburg

Nunmehr zum zwölften Mal fand im Warburg-Haus in Hamburg vom 09. bis 10. Februar 2018 die jährliche interdisziplinäre Tagung der Isa Lohmann-Siems Stiftung 1 statt. Die zehn Vorträge aus den Bereichen der Soziologie, Theologie, Geschichtswissenschaft, Rechtspsychologie, Politikwissenschaft, Volkskunde / Kulturanthropologie und Kunstgeschichte dienten dem Ziel, den Formen und Formeln des Bekennens nachzugehen. Anhand von konkreten Beispielen aus der Spätantike bis zur Gegenwart konnten Überlegungen zu Kontexten, Entstehungsprozessen, Institutionen, Narrativen sowie Materialitäten und Performanzen von Bekenntnissen angestellt werden. Der weit gefasste Bekenntnis-Begriff erlaubte es, das Thema der Tagung in höchst produktiver Weise aus den Blickwinkeln diverser wissenschaftlicher Disziplinen zu beleuchten.

Die beiden einführenden Keynotes standen unter der Überschrift „Kulturen des Bekennens: Formen und Formeln“. So erläuterte HUBERT KNOBLAUCH (Berlin) in seinem grundlegenden Vortrag, dass ein (Selbst-)Bekenntnis nicht nur subjektiv und reziprok, sondern stets auf das zu Bekennende bzw. Bekannte bezogen ist. Knoblauch schlug vor, Bekenntnisse nicht nur als (kulturelle) Praxis zu beschreiben, sondern, dem kommunikativen Wesen des Bekenntnisses entsprechend, in diesem Zusammenhang mit den Begriffen des kommunikativen Handelns bzw. der dadurch hervorgebrachten kommunikativen Formen zu operieren. Gemäß der Theorie der kommunikativen Konstruktion wird dabei neben der Subjektivität auch Medien (z.B. Fernsehen oder Architektur), Materialität und Körper(lichkeit) hohe Relevanz zugeschrieben: Dies wurde anhand des Beispiels einer im TV übertragenen Massen-Evangelisation verdeutlicht, welcher der Erweckungsprediger Billy Graham geradezu ‚Event-Charakter‘ verlieh. Bei diesem Bekenntnisakt wirkten die soziale Erfahrung und die durch die Architektur des Stadions beförderte öffentliche Sichtbarkeit mit.

Mit christlichen Bekenntnissen beschäftigte sich im Folgenden CHRISTIAN V. WITT (Mainz) in theologiegeschichtlicher Perspektive. Ausgehend von v. Campenhausens Beschreibung des Christentums als einer ‚bekennenden Religion‘ zeichnete Witt die zunächst von Abgrenzung nach außen, schnell jedoch von Pluralisierung und vom innerchristlichen Ringen um die rechten Lehren geprägten Entwicklungen in der alten Kirche nach. Wenngleich die Autorität des Apostolikums für die sich seit der Reformation ausbildenden Konfessionen grundsätzlich bestehen blieb, lassen sich konfessionsspezifische Unterschiede erkennen: Während das Tridentinum den apostolischen Ursprung des Bekenntnisses bekräftigte, wurde die Bedeutung des Apostolikums im Kanon der lutherischen Bekenntnisschriften relativiert. Vor diesem Hintergrund skizzierte Witt schließlich innerlutherische Auseinandersetzungen des 16. und 17. Jahrhunderts um das Apostolikum: Dabei wurde auf der einen Seite um willen der Irenik ein solches präkonfessionelles Bekenntnis zur verbindenden Grundlage erklärt, von den Gegnern dagegen betont, der traditionelle Bekenntnistext könne nur im Lichte reformatorischer Einsichten gelesen werden.

Bekenntnisse können mit „Institutionen“, wie der Titel des zweiten Tagungsblocks lautete, im Zusammenhang stehen. Dies wurde auch im Vortrag von PETER SCHUSTER (Bielefeld) über Geständnisse in Gerichtsverfahren des 14. bis 17. Jahrhunderts deutlich. Die im Luthertum des 16. Jahrhunderts weit verbreiteten Trostbüchlein sollten den mit der Begleitung der Verurteilten betrauten Seelsorgern Anleitungen an die Hand geben, die, so Schuster, auf die Erlangung eines Schuld-Geständnisses abzielten und die Verurteilten um ihres Seelenheils willen zum Bereuen der Taten bringen sollten, zumal dem leiblichen Tod für die Bußfertigen nicht der ewige Tod folgen musste. Dass jemand öffentlich während des religiös aufgeladenen und inszenierten Gangs zur Hinrichtungsstätte seine Unschuld thematisierte, sollte vermieden werden. Laut Schuster waren lutherische Seelsorger (im Dienste der Obrigkeit stehend) anders als Katholiken besonders obrigkeitskonform. Einzigartige Einblicke in die mehr oder weniger erfolgreiche Arbeit der Seelsorger gewährt das Tagebuch des Lutheraners Johannes Hagendorn, eine zentrale Quelle für Schusters Vortrag.

Die Frage, wie es heute in asymmetrischen Kommunikations- bzw. Machtverhältnissen zu (falschen) Geständnissen kommen kann, stand im Zentrum der anschließenden Ausführungen von LENNART MAY (Berlin). Ausgehend von dem Fall einer Familie, die sich nach mehreren Befragungen bzw. Verhören zu einem Mord bekannte, der so nie verübt worden war, machte May auf das Problem schuldverzerrter Vorannahmen seitens polizeilicher Vernehmer/innen aufmerksam. Gerade die sogenannte Reid-Methode berge bei Vernehmungen die Gefahr für die Ermittler/innen, einseitig auf die Erlangung eines Geständnisses zu fokussieren. Ungünstig können sich auch Unklarheiten in der Beweislage oder ggf. Aussagen von Unschuldigen auswirken. Einer von May und seinen Kollegen vorgelegten Studie zufolge legen nicht wenige Beschuldigte etwa aufgrund des (subjektiv wahrgenommenen) polizeilichen Drucks oder zum Schutz der wahren Täter falsche Geständnisse ab. May wies darauf hin, dass Kriminalist/innen demgegenüber in Befragungen, Vernehmungen und Verhören ergebnisoffen und unvoreingenommen agieren sollten.

Der dritte thematische Block („Narrative“) begann mit dem Vortrag von SILKE MEYER (Innsbruck) über biographische Narrative im Kontext finanzieller Verschuldung. 1999 trat in der BRD die sogenannte Insolvenzordnung in Kraft. Die darin für die Restschuldbefreiung von den redlichen Schuldner/innen geforderten Auflagen (Auskunftspflicht, Selbstaktivierung etc.) und die nicht zu verkürzende Dauer von derzeit vier Jahren nehmen gleichsam moralisch Einfluss auf die Lebensführung der Betroffenen. Basierend auf der Auswertung von narrativen Interviews mit Schuldner/innen zeigte Meyer, wie Lebensgeschichten (im Sinne der Subjektivierung) angesichts von Schulden und Schuld (neu) gedeutet werden. In diesen besonderen Bekenntnissen wird etwa von der Schuldnerberatung als Ort der Lebenswende gesprochen, oder motivartig von ‚glücklicher Armut‘ berichtet. Häufig werden von den Betroffenen aus dem religiösen Bereich entlehnte Formulierungen gebraucht. Das verschuldete Selbst verfolgt das Ziel der Ent-Schuldigung, die die Möglichkeit eröffnen soll, wieder in die Gesellschaft aufgenommen zu werden.

CHRISTINE BISCHOFF (Hamburg) ging ausgehend von Fallbeispielen der Frage nach, inwiefern Konversionen als Bekenntnisse zu deuten sind. Mit einem weiten Konversionsbegriff operierend verdeutlichte sie die Diversität der dabei zu beobachtenden Bekenntnisakte bzw. Religionswechsel. Dokumentierten, institutionalisierten Abläufen wie bei der christlichen Taufe stehen heute individuelle, ‚synkretistische‘ Lebensentwürfe gegenüber. Beschreibt jemand den eigenen Glauben(swechsel) als Suchbewegung, in deren Verlauf man sich erst der Ausgangsreligion, später dem neuen Glauben und zwischendurch beidem zugleich zugehörig fühlt, verweist dies auch auf die Einsicht, dass in jedem Menschen ein ganzes Repertoire von situativ relevanten ‚Bekenntnissen‘ zu finden ist. Überdies öffnen sich bei Grenzgängen zwischen den Religionen komplexe Zwischen-Räume. Bischoff zeigte überzeugend, wie das Bekenntnis zu einer (neuen) Religion auch als Versuch beschrieben werden kann, Struktur und Ordnung (in anderweitig unsicheren Lebenslagen) zu erzeugen. Lassen sich Formen und Formeln der Bekenntnisse bei Konversionen als ‚agency‘ im Sinne der Ausbildung von Handlungs- und Entscheidungsspielräumen deuten?

Den Auftakt des zweiten Tagungstages und des thematischen Blocks „Performanzen“ bildete der Vortrag von SIMON TEUNE (Berlin): Wie Teune am Beispiel der Anti-Atombewegung seit den 1970er-Jahren darlegte, können die graphischen Symbole einer strahlenden Sonne und eines gelben ‚X‘ visuell die Zugehörigkeit zu einer Bewegung bzw. einer Gemeinschaft anzeigen – und visuelle Bekenntnisse zu ihren Werten repräsentieren. Am Beispiel des Motivs der ‚strahlenden Sonne‘ lässt sich zeigen, wie neben Text-Slogans die Bildmotive der Anti-Atombewegung in den letzten Jahrzehnten variieren und in bestimmten Milieus modifiziert werden konnten. Gerade die Entwicklungen in Folge der Vorfälle in Fukushima 2011 zeigen, dass die Bewegung keineswegs mehr ein randständiges Phänomen darstellt, sondern mehrheitsfähig geworden ist. In Räumen, die zugleich privat und öffentlich einsehbar sind (etwa der Balkon, der PKW), finden sich in besonderer Weise zur Schau gestellte Bekenntnisse etwa in Form von christlichen Aufklebern (Fisch/Ichthys) oder „Atomkraft? Nein danke“-Transparenten.

Aus kunstgeschichtlicher Perspektive untersuchte CARSTEN JUWIG (Hamburg) die Bildlichkeit spätantiker Taufakte und die Ästhetik des Bekennens. Er beschrieb den Bekenntnisakt als sozial relevante Form sinnlicher Erkenntnis. Exemplarisch wies Juwig anhand der Taufkatechesen des Ambrosius von Mailand nach, dass Körperlichkeit, Materialität, Performanzen und Synmedialität für die verschiedenen Stadien von Vorbereitung, Durchführung und Rückschau der Taufe prägend waren. Praktiken wie das Fasten, Salbungen und Gebet zeugen von Vermittlung der Glaubensinhalte, die mit allen Sinnen erlebt, ja erlitten werden mussten, und welche die Täuflinge als Gruppe durch geteilte Erfahrungen verband, mithin zu einem Leib werden lassen sollte. Ambrosius beschrieb die Taufe als similitudo oder Bild, welches den Getauften, der per forma sterbe, zum Bilde Christi gestalte. Dieser Gedanke wurde v.a. in der Taufliturgie in der Osternacht deutlich. Unter Bezugnahme auf das Baptisterium in Ravenna zeigte Juwig, wie sehr der Taufritus von synmedialen und synästhetischen Verflechtungen geprägt war: Die Mosaik-Komposition spiegelte die Stellung der Täuflinge im Gebäude, die körperliche Drehung nach Osten ließ den Blick auf das Licht der aufgehenden Sonne fallen. Das dreimalige rückwärtige Untertauchen während der Taufe und das Tragen eines weißen Gewandes waren von leiblicher Erfahrung geprägte Abläufe, welcher der Getaufte in Zeiten des Zweifels, des geistlichen Nicht-Sehens und Nicht-Fühlens gedenken sollte.

Die Überlegung, inwiefern Rezeption oder Einsatz von Bildern mit dem Schaffen eines Bildes verbunden sein können, verband letzteren Vortrag mit den anschließenden Ausführungen, welche ANDREAS PLACKINGER (München) zu Beginn des thematischen Blocks „Materialitäten“ vorstellte: Leibliche Versorgung und geistliche Betreuung der zum Tode Verurteilten waren im frühneuzeitlichen Italien Anliegen und Aufgabe der Laienbruderschaft der Santa Maria della Morte. Sie widmeten sich nicht nur der Seelsorge der Delinquenten während der Haft, sondern begleiteten sie auf dem Weg zur Hinrichtung. Um das Ziel, das Seelenheil der Verurteilten zu retten, erreichen zu können, bedienten sie sich der Bildgattung der tavolette: Portabler, mit einem Griff versehener Bildtafeln, welche erbauliche Motive zeigten und den Delinquenten vor Augen gehalten wurden. Die confortatori waren darauf bedacht, durch die Kombination des Einsatzes der tavolette und des Sprechens von Gebeten eine intensive audiovisuelle Ablenkung der Delinquenten zu kreieren. Dies sollte, wie anhand eines exemplarisch herangezogenen Manuals gezeigt wurde, einen reibungslosen Ablauf der Exekution gewährleisten. Indem ein zum Tode Verurteilter, welcher auf diese Weise geistlich versorgt wurde und seinen Glauben bekennend verschied, wiederum ins Bild gesetzt oder von den Umstehenden gesehen und gehört wurde, avancierte er zu einem Vorbild für alle Sünder.

Abschließend präsentierte LENA SOMMER (Hamburg) ihre grundlegenden Forschungen zu sogenannten Memento-Särglein aus dem 17. und 18. Jahrhundert und zeigte auf, dass diese als visuelle Anleitungen zur Buße gelten dürfen. Man hat es bei den Artefakten mit kleinformatigen Nachbildungen von Särgen samt im Prozess der Verwesung dargestelltem menschlichen Leichnam zu tun. Sommer wählte hier Exemplare aus, bei denen (für die Gestaltung des Toten) das Material Wachs Verwendung fand. Die Artefakte können zusätzliche Inschriften aufweisen. Entsprechend der zeitgenössischen meditatio mortis dienten die Artefakte den Christen im Bereich der privaten Frömmigkeitsausübung dazu, die novissima zu vergegenwärtigen und angesichts der letzten Dinge ein gottgefälliges Leben und Sterben einzuüben. Sommer sah dabei zudem eine deutliche Verbindung zu Buße und Beichte. Die Särglein bzw. die darin befindlichen Leichen-Figuren waren geprägt von einer auf affektive Wirkung zielenden Drastik der Körperdarstellung. Das Material Wachs erlaubte es, eindrucksvoll die Details des Zersetzungsprozesses darzustellen. Sommer konnte anhand von Beispielen aus religiösen und medizinischen Kontexten (zwischen denen wiederum Verbindungen bestanden) nachweisen, dass Vorbilder und ähnliche Artefakte aus Wachs existierten, etwa Objekte, welche der Darstellung anatomischer Gegebenheiten dienen sollten.

Als Fazit bleibt festzuhalten, dass die interdisziplinäre Vielfalt der überzeugenden, präzisen und innovativen Beiträge als eine Stärke der Tagung bezeichnet werden darf. Anhand von Überlegungen etwa zur Konversion, zur Materialität sowie zu Narrativen des Bekennens wurde zur Schärfung der Bekenntnisthematik beigetragen. Die Vorträge waren thematisch verzahnt und bereicherten sich wechselseitig. Die anregende Atmosphäre der umsichtig konzipierten Tagung ermöglichte überaus fruchtbare Diskussionen. Zu danken ist der ILSS für ihre vielgestaltige Unterstützung, sowie allen Hilfskräften und Mitwirkenden. Die Mehrdeutigkeit des Begriffs ‚bekennen‘ stellt für die zukünftige Forschung Herausforderung und Chance dar, um weiter über Formen und Formeln von Bekenntnissen zu reflektieren. Der Tagungsband wird voraussichtlich zum nächsten Kolloquium der ILSS im Frühjahr 2019 (im Reimer-Verlag) erscheinen. Ich bekenne, dass ich ihn zur Lektüre sehr empfehle.

Konferenzübersicht:

Hubert Knoblauch (Berlin): Kommunikative Konstruktion, kommunikative Form und das Bekenntnis

Christian V. Witt (Mainz): Das Christentum als »bekennende Religion«. Überlegungen zu Struktur und Form christlicher Bekenntnisse

Peter Schuster (Bielefeld): Bekenntnisse vor Gericht: Gerechtigkeit und Seelenheil in der Strafjustiz (14.-17. Jahrhundert)

Lennart May (Berlin): Verhöre, Vernehmungen und Befragungen: Was für Aussagen sind zu erwarten?

Silke Meyer (Innsbruck): Schuld- und Schuldenbekenntnisse. Narrative Muster der Rechtfertigung

Christine Bischoff (Hamburg): Konversion als Bekenntnis. Zur Bedeutung und Ausgestaltung von Religionswechseln

Simon Teune (Berlin): Strahlende Sonne und gelbes X. Visuelle Verortungen in der Anti-Atombewegung

Carsten Juwig (Hamburg): Die Bildlichkeit spätantiker Taufrituale und die Ästhetik des Bekennens

Andreas Plackinger (München): »Und achte darauf, ihm die Tavoletta immer nahe an das Gesicht zu halten...«. Trösten mit Bildern und erbauliche Hinrichtungen im Italien der Frühen Neuzeit

Lena Sommer (Hamburg): Tod en miniature: Memento-Särglein als visuelle Anleitungen zur Buße

Anmerkung:
1 Zur Stiftung siehe http://www.isa-lohmann-siems-stiftung.de (14.02.2018).